Netanjahus Krieg war ausweislich und soll als Ablenkungsmanöver gesehen werden

Ja, wie Doron Rabinovici in seinem Kommentar richtig schreibt, Vernichtungspläne sind ernst zu nehmen. Manche erinnern sich an die Erklärung des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant vom 9. Oktober, als er bezüglich Gaza sagte: „Es wird keinen Strom, kein Essen, kein Wasser, keinen Treibstoff geben. Alles ist zu. Wir kämpfen gegen Tiere und handeln entsprechend.“ Es hat gewirkt – so sehr, dass die israelische Tageszeitung Haaretz die Opferzahl in Gaza auf 100.000 schätzt, nachdem mit vielen Bomben und Massenerschießungen von hungernden Zivilisten reagiert wurde. Verglichen mit der österreichischen Bevölkerung würde man von 400.000 Toten reden, das entspricht der Einwohnerzahl von Graz und Klagenfurt zusammen.


Darüber redet man nicht, sondern lieber über den Iran. Genau das war das Ziel von Netanjahu. Seit 1992 wiederholt er, dass der Iran dabei sei, eine Atomwaffe zu entwickeln. Das hat er auch über den Irak gesagt. Als die USA 2003 den Irak bombardierten, zeigte der damalige Außenminister Colin Powell auf der UN-Tribüne sogenannte Beweise für „Massenvernichtungswaffen“. Das war vielleicht eine der größten Fake News des beginnenden 21. Jahrhunderts.


D. Rabinovici schreibt: „Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) rief Ende Mai Alarm. Der Iran hatte sein Uran auf einen Anreicherungsgrad gehoben, der weit über jegliche zivile Nutzung hinausging.“ Der IAEA-Generaldirektor Rafael Mariano Grossi sagte jedoch, dass der letzte IAEA-Bericht im Grunde nichts Neues beinhaltete und vor allem, dass der Iran noch Jahre von der Produktion von Atomwaffen entfernt ist.


Weiter schreibt der austro-israelische Schriftsteller, dass „kaum jemand in der jüdischen Bevölkerung die Notwendigkeit eines Militärschlags gegen den Iran bezweifelte.“ Dann folgt ein wenig Cherry-Picking. Er kennt jedoch den Historiker Omer Bartov gut, der am 25. Juni in der Berliner Zeitung Folgendes sagte: „Den Angriff Israels auf den Iran halte ich für äußerst leichtsinnig. Der Grund war ja keine unmittelbare Gefahr, die vom Iran ausging, sondern Netanjahus Wunsch, die Aufmerksamkeit vom Gazastreifen abzulenken und daraus politisches Kapital in der israelischen Öffentlichkeit zu schlagen. Da es ihm gelungen ist, Trump zum Mitmachen zu bewegen, wird Netanjahu wahrscheinlich als Gewinner und die Palästinenser als große Verlierer dastehen.“


Auch der ehemalige Ministerpräsident Ehud Barak ist nicht so begeistert wie D. Rabinovici. Sein Kommentar ist realistisch: „Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Trotz der künstlichen Vernebelung, die das wahre Bild trübt, haben wir weder die iranische nukleare Bedrohung noch die Bedrohung durch Raketen beseitigt.


Tatsächlich gibt es ein Land, das mit französischer Hilfe Atomwaffen produziert hat und sich jeder Kontrolle durch die IAEA verweigert. Dieses Land hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet: Israel. Der Minister für Kulturerbe dieses Landes wurde gefragt, ob man eine Atombombe auf den Gazastreifen werfen sollte. Seine Antwort? „Ja, das wäre eine Möglichkeit (…) Wir sollten schauen, was ihnen Angst macht und abschreckt. Denn zu drohen, sie zu töten, reicht nicht. Sie haben keine Angst vor dem Tod.“ Muss man wirklich nur vor dem Iran Angst haben?


Und warum hat Israel das Evin-Gefängnis bombardiert, in dem politische Gegner einsitzen? Der Angriff forderte laut Iran 71 Tote. Wie kann man solche Bombardierungen rechtfertigen? Zu guter Letzt plädiert Doron Rabinovici für die „Beendigung der Kämpfe in Gaza“. Ein Kampf setzt eine gewisse Symmetrie voraus. Die Hamas ist zum Glück längst militärisch besiegt. Wie die beiden Historiker Amos Goldberg und Daniel Blatman schon Anfang dieses Jahres geschrieben haben: „Es gibt kein Auschwitz in Gaza. Aber es ist immer noch ein Völkermord.“ Es ist also ein bisschen mehr als ein „Kampf“ und der Krieg im Iran war in diesem Sinne nur ein Ablenkungsmanöver.